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Wolle spinnen

Das Rad der Weisheit und der Seelenruhe

Spinnen ist mehr als blosses Fadenherstellen. Spinnen beruhigt und zentriert, es ist eine Meditation.

Handspinnen ist heute ein beglückendes Hobby, doch in früheren Zeiten war es schlichte Notwendigkeit: Alle Fäden für Stick- und Nähgarn, für Kleidung, Tücher, Bettzeug, ja sogar für Schiffssegel wurden von Hand gesponnen! Ein Blick ins 14. Jahrhundert zeigt, wie verbreitet das Spinnen damals war: Nimmt man an, das eine Handspinnerin das Garn für einen Weber herstellen konnte, gab es beispielsweise 17’000 Spinnerinnen allein in Venedig und 30’000 Spinnerinnen in Florenz. Dazu kommen all die Familien, die Garn nur für den Eigenbedarf spannen. Und das zu einer Zeit, als das Flügelspinnrad noch nicht erfunden worden war, und demnach alle Fäden auf Handspindeln hergestellt wurden.

Aus Chaos wird Ordnung

Handspindel aus 30’000 Jahre altem Kauriholz. Ob bereits zu Lebzeiten des Baumes gesponnen wurde?

Wann der Mensch das Spinnen erlernte, liegt im Dunkeln der Geschichte verborgen. Das älteste textile Fragment, das gesponnene Fasern zeigt, wurde in der Türkei gefunden und auf ein Alter von rund 8000 Jahren datiert. 7000 Jahre alt sind zwei tönerne Spinnwirtel, die bei Ausgrabungen in Jela, westlich von Belgrad, entdeckt wurden. Auf ihnen ist übrigens der älteste bekannte Satz der Menschheitsgeschichte eingeritzt. „Bärgöttin und Vogelgöttin sind die Bärgöttin,“ steht in Vinca, einer alteuropäischen Schrift, auf den Spinnwirteln und deutet damit auf die mystische Seite des Spinnens hin, wie dies auch die vielen überlieferten Märchen und Sagen tun. In der griechischen Mythologie etwa spinnt die Schicksalsgöttin Klotho den Lebensfaden, Lachesis misst ihn ab und Atropos schneidet ihn entzwei. Auch die Nornen, die nordischen Schicksalsgöttinnen, spinnen die Schicksalsfäden der Menschen.

So ist Spinnen mehr als nur ein Schritt in der Wollverarbeitung: Das Ordnen des Fasergewirrs in den Händen zu einem gerichteten Faden wirkt auch ordnend und beruhigend auf die Gefühle und Gedanken. Spinnen entspannt und erdet sogar Personen, die nur zuschauen. Selbst zappelige Kinder werden rasch ruhig und verfolgen über lange Zeit fasziniert die Bewegungen des Rades.

Immer mehr Menschen leiden unter der Hektik unserer Zeit, wir werden überflutet mit Informationen, die wir nicht brauchen, mit elektronischen Spielereien, deren Nutzen kaum hinterfragt wird, die digitale Kommunikation hält uns in den Krallen, wir haben stets erreichbar und verfügbar zu sein – wir haben Bodenhaftung und echte Lebensqualität verloren. Immer mehr Menschen spüren das und sehnen sich nach mehr Musse, nach Handwerk statt Computer, nach einem einfacheren Leben. Spinnen kann ein Weg dazu sein.

„Nimm Zuflucht zum Spinnen, damit sich der Geist beruhigt. Die Musik des Rades ist Balsam für unsere Seele. Ich glaube, das Garn das wir spinnen,  ist in der Lage, die Risse im Gewebe unseres Lebens zu flicken. Das Spinnrad ist ein Symbol der Gewaltlosigkeit, auf der alles Leben –wenn es denn ein richtiges Leben sein soll – beruhen muss.“ (Mahatma Gandhi)

Schafwolle – eine unterschätzte Kostbarkeit!

Die Superkraft der Schafe: Gras in Wolle verwandeln

Wolle ist eine Hightech-Faser aus dem Labor der Natur. Nach langen Jahren der Geringschätzung besinnt man sich auch hierzulande wieder auf ihre einzigartigen Eigenschaften.

Eine Faser, die isoliert und gleichzeitig atmungsaktiv ist, im Winter die Wärme beim Körper hält, im Sommer vor Hitze schützt, tönt nach jahrelanger Forschungsarbeit. Soll sie dann auch noch wasserabstossend, knitterfrei und schwer entflammbar sein, antistatisch und damit schmutzabweisend und nicht zuletzt nachhaltig, abbaubar und umweltfreundlich, denkt man an eine Superfaser der Zukunft, an der Wissenschafter seit Jahren vergebens herumtüfteln. Weit gefehlt, diese Hightech-Faser gibt es bereits seit mehr als 10’000 Jahren, entwickelt im Labor der Natur – es ist Schafwolle!

Wolle ist ein Geschenk der Natur

Am Anfang steht das Gras. Während Schafe weiden, wächst auf ihrem Rücken nebenbei und als Dreingabe Wolle. Was uns selbstverständlich, einigen Schafzüchtern heute sogar lästig ist, muss den Steinzeitmenschen als Geschenk des Himmels vorgekommen sein. Die Wolle der damaligen Schafe war zwar kürzer und unter groben Deckhaaren versteckt, aber ihre Wärmefähigkeit entdeckten die Menschen sicher schnell, verwendeten die Fasern vielleicht zuerst als heilende Auflage, bis sie erkannten, wie sich die im Fellwechsel abgestossenen Wollflocken zu wärmender Kleidung verarbeiten liessen. Ob werkzeuglos zu Filz verfestigt, oder auf Spindeln zu Fäden gedreht und anschliessend verwoben, wärmten die Wollprodukte bald unsere kältegeplagten fernen Ahnen.

Frisch geschorenen Wolle eines Bündner Oberländerschafes. Die 20jährige Selektion auf feine Fasern hat sich gelohnt.

So wurde Wolle zu einem begehrten Rohstoff und zum hauptsächlichen Zuchtziel bei Schafen. Über die Jahrhunderte entstanden unterschiedlichste Schafrassen, angepasst an lokale Gegebenheiten und mit verschiedenen Wollqualitäten je nach Verwendung. Da gab es kleine Schafe für Gebirge, grössere fürs Flachland, das Wollkleid jeweils perfekt angepasst an Temperatur und Feuchtigkeit des lokalen Klimas. Feine Wolle wurde für Bekleidung eingesetzt, robuste Wolle für Teppiche, filzende Wolle für Schuhe, nicht filzende Wolle als Füllung von Bettzeug.

In der Schweiz war die Schafzucht bis in die 50er Jahre auf zweifachen Nutzen ausgerichtet, das Interesse lag etwa zu gleichen Teilen auf Fleisch und auf Wolle. Erhielten die Züchter damals rund 12 Fr. pro Kilogramm frisch geschorener Wolle, ist es seit Jahren nur noch einen Zehntel davon – das deckt nicht einmal mehr die Schurkosten. In den letzten 30 Jahren landete deshalb die Schweizer Wolle immer häufiger im Abfall.

In Grossbritannien, Irland und Skandinavien hingegen wurde die Wolle weiterhin geschätzt und zu hochwertigen Produkten verarbeitet. Vielleicht muss man in einem kühlen Land leben, damit man den Unterschied zwischen Polyester und Wolle hautnah spürt. In diesen Ländern werden an Shows nicht nur die schönsten Tiere prämiert, sondern auch die besten geschorenen Vliese erkoren; gute Wolle ist ein zentrales Zuchtziel, die Züchter sind stolz darauf. Solche prämierten Vliese sind bei Verarbeiterinnen heiss begehrt und werden direkt vom Züchter zu einem gutem Preis gekauft.